U-Ausschuss am 17.09.2012

[sf] Zur heutigen Ausschusssitzung sind zwei Sachverständige zu Gast: Prof. Dr. Uwe Backes vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden und Andrea Röpke, Journalistin beim NDR Hamburg. Es beginnt Backes mit seiner Erörterung zum Thema Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern:

+++ Anhand von Wahlergebnissen rechtsextremer Parteien feststellbar, dass bis 1998 kaum Unterschiede zu westlichen Ländern, ab 1998 deutlich größeres Potenzial in Ostdeutschland +++ gleiche Entwicklung lässt sich auch an Mitgliederzahlen NPD ablesen +++ NPD wird in späten 90er Jahren dominierender Akteur im rechtsextremen Spektrum +++ militante Szene schon Anfang der 90er Jahre ziemlich stark in Sachsen, von dieser Stärke profitierte die NPD +++ obwohl in NRW viermal so viele Leute wie in Sachsen wohnen, ist die Stärke der NPD und der militanten Szene in Sachsen größer als in NRW +++ Gründe für die Stärke des Rechtsextremismus in Sachsen: Rahmenbedingungen / Gelegenheitsstrukturen / Angebotsstrukturen +++ „Posttotalitäre Erblasten“ wie obrigkeitsstaatliche Einstellungen, antidemokratische Potentiale, Depluralisierung und kulturelle Abschottung der DDR, Zerstörung bürgergesellschaftlicher Strukturen, Transformationsbelastungen wie hohe Arbeitslosenquoten +++ Rekrutierungsschwäche der neuen demokratischen Parteien und zivilgesellschaftlicher Strukturen wie Kirchen, Vereine u.a. +++ NPD konzentriert ihre Kräfte auf Sachsen ab 1999/2000, nutzt militante Szenen als Rekrutierungsreservoir +++

Nun Vortrag Andrea Röpke +++ hält Terrorzelle für kein ostdeutsches Phänomen, hätte auch im Westen oder Berlin entstehen können +++ gab schon früher militante bzw. terroristische Gruppierungen wie Wehrsportgruppe Werwolf und Aktionsfront Nationaler Sozialisten (u.a. Manfred Börm und Michael Kühnen) +++ 80er Jahre deutsche „Aktionsgruppen“, 1980 Oktoberfest-Attentat mit 13 Toten und 200 Verletzten, Täter aus Wehrsportgruppe Hoffmann +++ Hoyerswerda 1991 wesentliches Ereignis, am Wochenende nach den Ausschreitungen dort gab es 78 rassistische Übergriffe bundesweit, 12 Menschen sterben zwischen Jan 1990 und Sep 1991 durch Neonazis +++ 1999/2000 insgesamt 178 Funde von Sprengstoff und Brandvorrichtungen bei Neonazis, Waffenfunde verdoppeln sich im Vergleich zum Vorjahr +++ politisch motivierte Mörder und Straftäter genießen Ansehen als „nationale Märtyrer“ +++ Gefangenenbetreuung („Hilfsorganisation für nationale Gefangene“ – HNG) hat hohen Stellenwert +++ Terror-Trio schrieb Briefe an Kameraden in Gefängnissen und hat sich in Gefangenenbetreuung schon in den 90er Jahren engagiert +++ In Gefängnis-Zeitung „Der Weiße Wolf“ (wird von NPD-Landtagsabgeordneten herausgegeben) im Jahr 2002 ist „Vielen Dank an den NSU“ zu lesen +++ Vorbilder. Ku Klux Klan, 14 Words und Strategie des führerlosen Widerstands +++ Kleinstzellenbildung und ideologische Vernetzung sowie bürgerliche Tarnung – bewaffneter Kampf mit sicherem Rückzugsort und Doppelleben +++ Blood-and-Honour-Netzwerk wird verharmlost als Musiknetzwerk, sagt aber selbst 1998: „Wir sind mehr als nur eine Musikbewegung“ +++ B&H ist Kampfgemeinschaft, elitäre, rassistische Gang, orientiert am KKK +++ Sachsen Heimat einer der bedeutendsten B&H-Sektionen, mit Chef Jan Werner und Vize Thomas Starke +++ Schwerpunktstrukturen in Chemnitz und Region, Rekrutierung aus Kameradschaft der „88er“ +++ 1997 erstmalig Fluchthilfe aus der B&H-Sektion für zwei aus dem Gefängnis geflohene Kameraden +++ LKA hat 2000 bei Hausdurchsuchungen ein Notizbuch bei Thomas Starke gefunden, darin auffällige Namen wie Zschäpe, Mundlos und Andre Eminger +++ „Combat 18“ bewaffneter Arm, führerloser Widerstand +++ immer wieder Waffen- und Sprengstofffunde im B&H-Umfeld +++ „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ Andre und Mike Eminger sowie Matthias Dienelt als „saubere Kameradschaft“ etabliert, unauffälliges Agieren +++ Umzug NSU von Chemnitz nach Zwickau um 2000 bereits enge Verflechtungen zu Emingers und Dienelt +++ gemeinsame Märsche B&H und WBE +++ B&H zum Untergrund: „Diese einsamen weißen Wölfe müssen respektiert werden, um die schlimmsten Feinde unserer Rasse zu verfolgen. Sie erwarten keine Unterstützung und Hilfe, aber sie verdienen Anerkennung und Verständnis“ +++ Sendungsbewusstsein statt Bekennerschreiben

Nun beginnt die Fragerunde, zunächst haben der Ausschussvorsitzende Patrick Schreiber und dann der stellv. Vorsitzende Klaus Bartl das Wort.

Schreiber fragt nach Kenntnislage der Behörden über militante Szene. Röpke: Behörden haben einen fokussierten Blick auf die NPD und organisierten Rechtsextremismus entwickelt, auf das Sichtbare. Bereits früher mit Wiking-Jugend ähnlicher Fall, hat jahrzehntelang arbeiten können, wurde dann 1994 verboten, Funktionäre finden sich später alle in rechtsextremen Parteien und Führungspositionen wieder. Enge Verbindung des Terrortrios zu B&H etc. ist eigentlich augenfällig. Hätten die Behörden das nichtorganisierte subkulturelle Milieu – von Musikszene, ganzheitlicher Bewegung etc. genauer auf dem Schirm gehabt, hätte man Verbindung eher sehen können. Verfassungsschutzbehörden haben auf Röpke-Veröffentlichungen meist vorgeworfen, das würde Hysterie schüren, das seien sicherlich Übertreibungen etc. und eher mit Verharmlosungen reagiert; Behörden habenaber offenbar über viele Informationen verfügt, es ist nicht so, dass die keine Kenntnisse hatten. Aber sie haben die Informationen offenbar verharmlosend gewertet. Offenbar gab es auch Wirrwarr an Erkenntnissen und Kompetenzen zwischen Staatsschutz-Abteilungen der Polizei und LfVs sowie LfVs bundesländerübergreifend – nur sehr begrenzte Kooperation.

Weitere Befragung durch Klaus Bartl: Andere Sachverständige haben berichtet, dass nach 2000 der Fokus der Verfassungsschutzbehörden auf rechte Gewalttaten schwindet, terroristische Gefahren werden nicht mehr thematisiert – gleiche Wahrnahme und welche Gründe könnte das haben? Röpke: Der 11. September dürfte eine wichtige Rolle gespielt haben, da haben sich Prioritäten bei den Verfassungsschutzbehörden verschoben. Rechte Szene ist um diese Zeit erschreckend militant geworden, Behörden haben dies relativiert. Doch selbst vor 2000 hat Verfassungsschutz diese Strukturen immer wieder als Feierabend-Terrorismus und Einzeltäter gewertet, nie als zusammenhängende Strukturen und Netzwerke. Es wurden einfach andere Prioritäten in den Behörden gesetzt. Backes hierzu: Wenn man sich die sächsischen Verfassungsschutzberichte anschaut, dann muss man doch sagen, dass in den letzten Jahren immer intensiv berichtet wurde über gewaltbereite rechte Szenen und Netzwerke. Aber es gibt eine gewissen Vorsicht, den Begriff Rechtsterrorismus zu verwenden, in vielen Berichten gibt es sogar die Aussage, es gäbe keinen Rechtsterrorismus. Die Entschiedenheit, mit welcher diese Aussage getroffen wurde, habe ihn auch sehr verwundert. Eine Erklärung ist sicher, dass die Bedrohung durch den dschihadistischen Extremismus die einheimische Bedrohung weniger stark gewertet wurde. Außerdem ist sicher die Intention dabei gewesen, dass man nicht Alarm schlagen wollte, die Bedrohungssituation nicht überbewerten zu wollen – aus sicherheitspolitischer Perspektive. Schließlich ist „juristische“ Definitionsperspektive vorherrschend, nach der eingestuft wurde. Sozialwissenschaftliche Perspektive hätte möglicherweise schon eher rechtsterroristische Bedrohung definiert.

Bartl: Gibts Unterschiede in Strafverfolgung und Repression zwischen den Bundesländern? Röpke: Auf jeden Fall, das sieht man z.B. beim Umgang mit einzelnen Neonazi-Gruppen. Brandenburg wagte sich zumeist etwas eher nach vorn, Hamburg reagiert schneller auf Presseberichte, Niedersachsen hingegen eine Tendenz zum Verharmlosen… Neue Bundesländer haben weitaus bessere Infrastruktur in Bezug auf zivilgesellschaftliche Beratungs- und Präventionsstellen. Daher müsste eigentlich auch bei den entsprechenden Landesämtern eine höherer Sensibilität vorhanden sein. Backes: Anfang der 90er Jahre gab es durchaus eine Laschheit der Sicherheitsbehörden im Umgang mit Rechtsextremismus – siehe Hoyerswerda. Das hat sicher auch mit Schwierigkeiten der Umstrukturierung der Polizei zu tun…

Mittagspause des Ausschusses bis 13:30 Uhr, danach wird die Befragung der Sachverständigen fortgesetzt…

Und weiter gehts, Christian Hartmann fragt nach internationaler Vernetzung des Trio-Umfelds. Röpke: Über Jan Werner v.a. nach Tschechien und zu britischen Organisationen, über Emingers zu skandinavischen Gruppierungen. Und Fest der Völker war natürlich Gastgeber für internationale Bands, reger Austausch in der Musikszene, v.a. zu B&H-Bands. Sächsische Szene hat außerdem engen Draht in die USA, v.a. über Musikszene, aber auch die klare Orientierung am KKK weist darauf hin, Aryan Brotherhood ebenso. Ergänzung Backes: Ähnlichkeiten auch zu anderen osteuropäischen Ländern, wahrscheinlich wegen der gleichen strukturellen Bedingungen in allen diesen Ländern. Hartmann-Nachfrage: Ist der NSU ein spezifisch ostdeutsches Phänomen? Röpke: Nein, ähnliche Vorfälle gab es auch im Westen, das Unterstützernetzwerk erstreckt sich gleichfalls in den Westen. Aber nach der Wende hat das Erstarken der militanten Strukturen mit Anführern aus dem Westen in Ostdeutschland viel beitragen können. Backes: Es ist kein Phänomen in Sachsen oder Ostdeutschland zu erkennen, das im Unterschied zu westdeutschen oder westeuropäischen Gruppierungen spezifisch wäre. Der Unterschied ist eher quantitativer Natur.

Kerstin Köditz fragt nach einem Ungleichgewicht der Aufmerksamkeit der Behörden gegenüber rechtsextremistischen und linksextremistischer Strukturen und woher dies komme. Röpke bestätigt diesen Eindruck, es gäbe hohes Relativierungspotential. Backes betont, dass Linksextremismus ebenso gefährlich sei wie Rechtsextremismus. Die Gewalt- und Konfrontationsbereitschaft beider Gruppen nähere sich an.

Sabine Friedel will wissen, ob die Sicherheitsbehörden „externe Expertise“ eingeholt haben – also ob es ein Bestreben gab, die eigenen Erkenntnisse durch die Einholung wissenschaftlicher Sachkunde oder Abgleich mit journalistischen Recherchen zu ergänzen. Röpke: Eher das Gegenteil sei der Fall, berichtet von Behinderungen und Verdrängungen durch die Behörden. Backes weist darauf hin, dass der Austausch in den vergangenen Jahren intensiver geworden sei und die stark juristische Prägung der Mitarbeiter durch Einstellung von und Austausch mit Sozialwissenschaftlern ergänzt worden sei.

Henning Homann fragt nach der gesellschaftlichen und behördlichen Reaktion auf Rechtsextremismus in den 90ern? Backes: Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist vor 2000 schwächer gewesen als in den letzten zehn Jahren – erst mit dem Jahr 2000, dem „Aufstand der Anständigen“ und dem Bündnis für Demokratie und Toleranz sowie Förderprogrammen hat sich da etwas geändert. Röpke: Auf jeden Fall gab es zu wenig Auseinandersetzung mit dem Thema – früher und selbst jetzt hat es ja erst der Aufdeckung dieser NSU-Mordserie bedurft, damit die rund 100 Opfer rechtsextremistischer Gewalt überhaupt benannt und anerkannt werden. Hat die Politik, haben die Behörden also zulange geschlafen? Ja, natürlich, so Röpke.

Carsten Biesok fragt nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen RAF und NSU, insbesondere mit Blick auf die ‚gesellschaftliche Unterstützung‘. Backes: Rechtsterroristisches Milieu hat kaum intellektuelles Resonanzfeld im Vergleich zu linksrevolutionärer Bewegung. Aber Resonanzraum dort, wo linke Revolutionäre keinen Boden machen konnten, nämlich in dem Teil der Bevölkerung, der zu Abwehr gegenüber fremden kulturellen Einflüssen neigt etc. – kein geringes Potential. Das ist kein direktes Unterstützerumfeld, aber eine Erklärung dafür, dass Rechtsextremisten vor Ort nicht immer den
Widerstand finden, der eigentlich angemessen wäre. Biesok fragt, was man konkret hätte machen können – was heißt, man sei damals zu unsensibel gewesen, was hätten die Behörden tun sollen? Röpke: Man hätte Radikalisierung verhindern bzw. erschweren können, stattdessen aber wurde akzeptierende Jugendarbeit gemacht und geduldet, Konzerte wurden geduldet … Böhnhardt z.B. hätte schon im Gefängnis sein müssen, sein Haftantritt war überfällig, weiterhin ist natürlich fraglich, warum es am Tag der Garagendurchsuchung keine Haftbefehle gegeben hat etc.

Auf die Frage von Miro Jennerjahn danach, ob die Extremismustheorie eine geeignete Grundlage der sicherheitsbehördlichen Tätigkeit sei, gibt Prof. Backes ein Statement zur Historie des Konzepts streitbarer Demokratie und der Entstehung des Grundgesetzes.

Noch kurz weitere Punkte: Prof. Backes hält auf Nachfrage das Begehen von Banküberfällen für ein nahezu konstitutives Element einer Terrorgruppe – die Finanzierung von Untergrundarbeit durch Banküberfälle sei ein durchgehendes Muster, auch die RAF habe in den 70er Jahren Banküberfälle begangen, hier hätte auf jeden Fall ein Augenmerk auf die Überfallserie in Sachsen gelegt werden müssen. Zusammenfassende Frage: Gibt es Versäumnisse staatlicher Behörden? Röpke: Ja, es gibt unfassbare Versäumnisse bei vielen Sicherheitsbehörden, das muss man in Zusammenschau sagen. Das fängt bei der V-Mann-Praxis an, dass man bekennende und verurteilte Straftäter anwirbt, bezahlt und dafür fragwürdige Informationen bekommt. Backes verweist auf Schäfer-Bericht, der zeige, dass vielfältige Fehler gemacht worden sind, sowohl bei Verfassungsschutz als auch bei Polizei.

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