[Aus dem Statement von Grit Hanneforth, Sachverständigenanhörung am 2. Juli 2012] „Worin liegt das systemische Versagen? Haben staatliche Institutionen die These, dass einzelne parteigebundene und –ungebundene Nazigruppierungen existieren, die mehr oder weniger vernetzt im Land agieren, sehen sie genau das und beobachten diese. Geht man jedoch in der Analyse davon aus, dass eine parteigebundene und -ungebundene Neonaziszene für ihre Entstehung und Rekrutierung ein soziokulturelles Umfeld braucht, was von rassistischen und menschenfeindlichen Ressentiments getragen wird und – willentlich oder nicht – die Szene stützt, aber zumindest Positionen teilt, dann habe ich einen völlig anderen Betrachtungsgegenstand, der mich über die reine Beobachtung hinaus auch befähigt Handlungsansätze, zu entwickeln. Die Dominanz des ersten Ansatzes (Beobachtung der Naziszene) zwingt staatliche Institutionen gerade zu einem Nichterkennen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, da derzeit andere Analysewerkzeuge zur Situationsbeschreibung in Sachsen aus staatlicher Perspektive nicht existieren. Das führt zu einem Nicht-Wahrnehmen von Rassismus und Menschenfeindlichkeit. … Der allein ordnungspolitisch zentrierte Blick lässt Ausgrenzung, Wegschauen, Verschweigen, Aussitzen, Abwenden, Abtauchen und Schuldverschiebung zu. Behördliche Energie fließt so in die Abwehr und Unterdrückung von Problemlagen, in die Strafverfolgung, nicht aber in die Lösung oder gar die Prävention. Hier muss die Zivilgesellschaft mit ihren Analysen und Beschreibungen gehört und ernstgenommen werden. Passiert das nicht hat das eklatante Folgen für das politische Klima und die Sicherheitsarchitektur in der Gemeinde. Ist das Thema „Auseinandersetzung mit Neonazis“ erst mal mit einem öffentlich Bann belegt, das es von Seiten der Meinungsführer als imageschädigend gebrandmarkt wird, orientiert sich nicht nur eine breite Bürger_innenschaft daran, sondern das hat auch Einfluss auf das Handeln staatlicher Behörden. Es misst rassistischen und menschenfeindlichen Ereignissen eine geringere Bedeutung zu, wie wir aus den Ermittlungsrichtungen um die Morde an den Kleinunternehmern sehen können. Jede Duldung einer Menschenrechtsverletzung stärkt die Täter und ist ein Angriff auf unsere freiheitliche Gesellschaft und nicht zuletzt auf das Grundgesetz.“